Am 20.6.2022 konnten wir am Kanderfirn (Berner Alpen) folgende Beobachtungen machen:
Gletscherzunge und Eisstrom des Kanderfirns. Situation am 20.6.2022.
Rund einen Monat früher als sonst war die
Zunge des Kanderfirns am 20.6.2022 bereits ausgeapert (= schneefrei). Neben dem schneearmen Winter 2021/22 sind auch die hohen Temperaturen der letzten Monate dafür verantwortlich. Das Gletscherende des Kanderfirns liegt auf einer Höhe von knapp 2400m ü.M.
Seit unserem letzten Besuch am Kanderfirn vom 23.7.2021 hat der Kanderfirn weiter an Dicke und Länge verloren. Zerfallserscheinungen (z.B. Einsturztrichter), wie sie an anderen Gletschern auftreten, konnten am Kanderfirn bisher nicht beobachtet werden.
Kanderfirn: Gletscherende und proglaziale Seen. Situation am 20.6.2022.
Die beiden
proglazialen Seen waren am 20.6.2022 grösser als am 23.7.2021. Das weil der Gletscher an Länge eingebüsst hat und der Abfluss von Schmelzwasser am 20.6.2022 sehr gross war (siehe auch Abschnitt weiter unten).
Am 20.6.2022 floss das Schmelzwasser auf der südlichen Hälfte des Kanderfirns im wesentlichen aus zwei (noch) unscheinbaren Gletschertoren ab.
Die bräunliche Färbung des Wassers zeigt, dass viele Sedimente transportiert werden.
Kanderfirn: Kleine Eiswand und Gletschertor. Situation am 20.6.2022.
Beim nördlichen Gletschertor hat sich eine kleine Eiswand gebildet. Dahinter lässt sich ein
subglazialer Schmelzwasserkanal erahnen. Es ist möglich, dass an dieser Stelle in den kommenden Wochen und Monaten ein grösseres Gletschertor entstehen wird.
Kanderfirn: Eindrückliche Menge von Schmelzwasser. Situation am 20.6.2022.
Am 20.6.2022 war die Menge Schmelzwasser, welche aus dem Kanderfirn floss, rekorverdächtig hoch. Gründe:
1) Unser Besuch fiel in die Hitzewelle von ca. 16.6.2022 - 21.6.2022. In den vorangehenden Tagen lag die Nullgradgrenze immer über 4000m ü.M. Für wenige Tage nach Mitte Juni ist das aussergewöhnlich.
2) Der Kanderfirn erstreckt sich bis auf eine Höhe von ca. 3100m ü.M. Die höher gelegenen Teile des Kanderfirns sind normalerweise ganzjährig mit Schnee bedeckt. Dieser Schnee wird zu Firn und später zu Eis. Dieses Eis fliesst talwärts und hält den Gletscher am Leben. Schmilzt nun auch dieser Schnee teilweise oder ganz, und das bereits im Juni, sind das keine guten Aussichten für den Kanderfirn.
Ein Teil der aus dem Kanderfirn fliessenden Wassermassen dürften auf das Schmelzen des oben beschriebenen Schnees zurückzuführen sein.
In all den Jahren haben wir die Umgebung des Kanderfirns noch nie so frei von menschgemachtem Lärm erlebt.
Mögliche Gründe:
1) Wegen Bergsturzgefahr ist die Mutthornhütte bis auf weiteres geschlossen. Ursache der Bergsturzgefahr ist u.a.
schwindender Permafrost. In den vergangenen Jahren wurde die Mutthornhütte rege von touristischen Helikopterflügen angesteuert.
2) Eine Rolle könnte auch gespielt haben, dass wir den Kanderfirn min. einen Monat früher als in den früheren Jahren aufsuchten.